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Aus der Forschung
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    Methan versenkt Schiffe
von Wolf Wichmann
   
In Laborversuchen und Modellrechnungen ist es der australischen Forschergruppe um David May und Joseph Monaghan vor kurzem erstmals gelungen, nachzuweisen, dass eine einzige Gasblase von entsprechender Größe Schiffe in die Tiefe reißen kann.
   
  Dass massive Gasaufwallungen die Dichte von Flüssigkeiten und damit deren Auftriebskraft herabsetzen, weiß man schon lange aus der Physik. Bereits frühere Experimente konnten zudem belegen, dass viele kleine Gasblasen die Wasserdichte soweit herabsetzen können, dass Schiffe schlagartig quasi "wie im Schaum" versinken.

Die neuen Untersuchungen zeigen nun, dass auch eine einzige Gasblase von entsprechender Dimension allein ausreicht, um Wasser ohne Vorwarnzeit "leichter als Luft" zu machen. Der Prozess läuft dabei in mehreren Phasen ab: Eine große Gasblase wölbt die Wasseroberfläche kurz vor ihren Durchbruch zunächst beulenartig auf.

Ein direkt über ihr schwimmendes Wasserfahrzeug rutscht auf der Beulenflanke zusammen mit dem ablaufenden Wasser abwärts und wird in einen turbulenten Strömungsring gezogen, der sich um die Wasserbeule herum bildet.

Zerreißt die Blase schließlich an der Wasseroberfläche, setzen starke Abwärtsströmungen ein und ziehen das Schiff zusätzlich in die Tiefe.

Eine schlimme Vermutung

Die mit Hilfe eines einfachen Schiffsmodells auf einer dünnen Wasserschicht zwischen zwei Glasscheiben durchgeführten Experimente an der Monash University in Melbourne zeigen, dass der aufsteigende Gaskörper in etwa die Größe des Schiffsrumpfes haben muss, damit diese Mechanismen funktionieren können.

Gasblasen dieser Größe können theoretisch auf zwei verschiedene Arten entstehen. Bei einem kurzen Weg zur Wasseroberfläche – wie zum Beispiel in der Nordsee – muss sich schon zu Beginn eine relativ große Menge Gas mit einem Schlag aus dem Meeresgrund lösen. Auf ihrem Weg nach oben verringert sich der Wasserdruck beständig, die Blase dehnt sich aus – vergrößert sich weiter, bis sie schließlich die Wasseroberfläche durchbricht.

Aber auch mehrere kleinere Gasblasen, die sich kurz nacheinander oder innerhalb eines kleineren Areals aus dem Meeresboden lösen, können sich auf ihrem Weg nach oben aus größerer Tiefe zu einer Riesenblase vereinigen.

Schon früher wurden derartige Vermutungen im Zusammenhang mit dem geheimnisvollen Verschwinden von Flugzeugen und Schiffen in dem sagenumwobenen "Bermuda-Dreieck" geäußert. In diesem Seegebiet im Bereich der Bermuda-Inseln zwischen Florida, San Juan und Puerto Rico sind rund sechzig Flugzeuge und einhundert Schiffe spurlos und ohne ersichtliche Ursache verschwunden. Oft war nicht einmal ein Notruf empfangen worden.

Bis zur Entdeckung der ersten Methan-Gas Vorkommen in den Sedimenten der Tiefsee und an den Kontinentalhängen Mitte der 1990er Jahre gab es keine wissenschaftlich fundierten Erklärungsansatz für dieses Phänomen.

Vermutungen, Riesenwellen oder aufsteigende Gasblasen könnten die Ursache für die Katastrophen gewesen sein, sind schon früh geäußert, aber mangels Indizien ebenso schnell wieder verworfen worden.

Suche nach Ursachen

Riesenwellen als Ursache hätte man mit Hilfe der Messinstrumente leicht ausmachen können. Auch die Gashypothese galt so lange als zweifelhaft, wie keine eindeutige Quelle für eine mögliche Eruption zu bestimmen war.

Dies änderte sich, nachdem ein Forschergruppe des Kieler GEOMAR Institutes 1996 einen vierzig Kilogramm schweren, weißlichen, faulig riechenden Eisklumpen aus der Tiefsee vor Nordamerika an Bord gehievt hatte, den man außerdem auch noch anzünden konnte.

Wie man sehr bald herausfand, handelte es sich bei dem unappetitlich nach faulen Eiern riechenden Klumpen aus brennendem Eis um "gefrorenes" Methangas.

Die Entdeckung der Methangas-Lagerstätten öffnete der Meeresforschung weltweit neue Dimensionen. Nicht nur die anfängliche Hoffnung, diesen im Sediment gebundenen Energieträger dereinst gehörig ausbeuten zu können, hat die Exploration der Gashydrat-Lagerstätten seither zu einem Hauptanliegen derzeitiger Meeresforschung werden lassen.

Auch für die Bereiche Klimaforschung und die Schiffssicherheit sind die Gashydrate als Quellen möglichen Gasaustritte aus dem Meeresboden plötzlich interessant geworden.

Methan entsteht – wie auch Schwefelwasserstoff (H2S) –´bei der Verwesung von organischem Material unter Sauerstoffabschluss. Unter besonderen Bedingungen, nämlich bei hohem Druck und niedriger Temperatur wird aus Wasser und Gas ein feste Verbindung gebildet – das so genannte Gashydrat.

Die Besonderheit des Gashydrates liegt in seiner außergewöhnlichen Molekülstruktur. Käfigartig aufgebaute, so genannte "Strukturmoleküle" aus Wasser, schließen die Atome des beteiligten Gases – in diesem Falle Methan – als "Gastmoleküle" in ihrem Zentrum ein und fixieren es.

Die Stabilitätsgrenzen für derartige Einschlussverbindungen oder "Clathrate", wie solche Käfigmoleküle auch genannt werden, sind allerdings eng: Steigt die Umgebungstemperatur an oder sinkt der Druck ab, wird das Gashydrat instabil. Die bis dahin feste Wasserphase der Strukturmoleküle verflüssigt sich, die eingeschlossenen Gasatome entweichen und steigen auf.

Wie kann Gas Schiffe versenken?

Grundsätzlich können Gashydrate-Komplexe je nach Verfügbarkeit unterschiedliche Gasarten in jeweils getrennten Käfigen einschließen.

Natürlicherweise entstehen bei Verwesungsprozessen unter anaeroben Bedingungen neben Methan und anderen niedrig wertigen Kohlenwasserstoffen auch andere Gase wie etwa Schwefelwasserstoff (H2S) und Kohlendioxid (CO2).

Der Chemismus der Hydrate selbst, aber auch derjenige des Umgebungsmilieus können die Stabilitätsgrenzen der Clathratkomplexe grundlegend beeinflussen.

Relativ hohe Anteile von CO2 oder auch H2S beispielsweise verschieben die Stabilitätsgrenze zwischen Hydrat- und Gasphase in Richtung höhere Temperaturen, während die Anwesenheit elementaren Wasserstoffs oder auch im Wasser gelöste Salze die Stabilitätsgrenze in den Bereich niedrigerer Temperaturen absenken.

Diese Eigenheiten sind ein Indiz für die Empfindlichkeit des Gashydrat-Systems. Eine relativ unbedeutende Störung im Druck/ Temperatur-Gleichgewicht im Umfeld der Lagerstätte kann bereits dramatische Auswirkungen auf die Stabilität des Chlatrat-Komplexe haben.

Eine vergleichsweise leichte Erwärmung des Meerwassers oder eine lokale Druckabnahme, etwa durch Massenbewegungen der überlagernden Sedimente, kann schlagartig große Mengen von Methan freisetzen.

In der Tat häufen sich seit einigen Jahren die Indizien dafür, dass massive Methan-Ausbrüche aus derartigen Gashydratvorkommen in die Atmosphäre sowohl das Klima als auch die Entwicklung des marinen Lebens im Laufe der Erdgeschichte spürbar beeinflusst haben.

Auch unter den Sedimenten der Nordsee gibt es Lagen von gefrorenem Methanhydrat. Besonders der Meeresboden vor der schottischen Küste steht seit einigen Jahren in Verdacht, mehrfach in jüngster Vergangenheit größere Mengen dieses Gases frei gesetzt zu haben.

Unheimlicher "Witch Ground"

Bei der Sonarvermessung des "Witch Grounds", eines Offshore-Ölfeldes rund 150 Kilometer nördlich der schottischen Industriestadt Aberdeen, hatte man in den 1970er Jahren zahlreiche Unregelmäßigkeiten auf der Oberfläche des Meeresbodens registriert, die als Ausbruchstellen von Erdgas interpretiert worden waren.

Zu der Zeit waren allerdings die Methangashydrate noch eine unbekannte Größe, man vermutete damals vielmehr die Entgasung aus einer "normalen" Erdgaslagerstätte, wie sie für Nord- und Barentssee typisch sind.

Bei dem Versuch, Nachweise für Methanentgasungen zu finden, nahmen der Meeresbiologe Alan Judd von der University of Sunderland mit einem Team anderer Fachleute diese Region vor zwei Jahren noch einmal genauer unter die Lupe.

Im zentralen Bereich des Witch Grounds – bezeichnenderweise "Witch Hole", Hexenloch, genannt – wurden sie schließlich fündig: Ein unversehrtes Schiffswrack tauchte in 150 Metern Tiefe im Lichtkegel des ferngelenkten Forschungs-U-Bootes auf.

Der Kutter stand aufrecht inmitten einer kraterförmigen Vertiefung auf dem Meersgrund, die der Forscher als übrig gebliebene Narbe einer Gaseruption deutete. Keine Beschädigung deutete auf einen Unfall oder eine Kollision hin, der Rumpf hatte sich auch nicht mit Bug oder Heck voran in den Grund gebohrt.

Ein rätselhaftes Wrack

Die beiden Marinehistoriker des Teams, Robert Prescott und Mark Lawrence von der St. Andrews Universität identifizierten ein Stahlschiff aus der Epoche zwischen 1980 und 1930.

Die Tatsache, dass der Rumpf keinerlei Beschädigung aufwies, aufrecht auf dem Meeregrund und zudem mitten in einer Ausbruchsnarbe stand, legt die Vermutung für Alan Judd nahe, dem Schiff könnte ein schlagartiger Methanausbruch zum Verhängnis geworden sein.

Der Kutter muss demnach während der Fahrt, plötzlich und ohne Vorwarnung wie ein Fahrstuhl geradewegs auf den Meeresboden gezogen worden sein.

Dass derartige Eruptionen für diesen Bereich typisch sind, scheinen die zahlreichen anderen Narben im näheren Umfeld des Wracks zu belegen. Mehr und mehr der großen Geheimnisse aus den Erzählungen und Mythen der historischen Seefahrt scheinen heute plausible Erklärungen zu finden.

Nicht Monster oder Außerirdische sind nötig, um Schiffe verschwinden zu lassen. Es sind vielmehr entweder Verbrecher, wie die auch heute noch in einigen Teilen der Welt operierende Piraten, oder eben Naturphänomene wie Monsterwellen oder Gaseruptionen, die verantwortlich zu machen sind.

Auch im Bereich des Bermuda-Dreiecks sind zahlreiche Methanhydratvorkommen lokalisiert worden. Riesige Methanvorkommen gibt es aber auch vor Australien, Alaska, Japan und der Küste Norwegens ebenso wie tief in den Permafrostböden der Festländer.